Sonntag, 4. November 2012

20 Tonnen Stickstoff gegen Silobrand

von Gerhard Urschler & Markus Fasching

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Zuletzt am Freitag, 9. November 2012 geändert.

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Einsatzablauf:: In den Nachtstunden vom 28. auf den 29. Oktober kam es aus ungeklärter Ursache in der Heizungsanlage der Fa. Himmetzberger in Krems zu einem Schwelbrand. Der Schwelbrand konnte sich durch einen Defekt in den mit 90m³ Sägespäne und Papierschnitzel gefüllten Silo ausbreiten. In den Vormittagsstunden des 29. Oktober wurde die Rauchentwicklung am Silo von Betriebsmitarbeitern entdeckt und über Notruf ein Brandverdacht gemeldet.

Der Silo steht als zentrales Element in einer 2000m²-Hallenlandschaft einer Großtischlerei. Er war von allen Seiten umbaut und reichte bis zur Heizungsanlage im Kellergeschoß. Der Silo wurde von den Betriebsmitarbeitern nicht geöffnet.

Der Einsatzleiter stellte aufgrund der Rauchentwicklung, CO-Messungen und Kontrollmessungen mit der Wärmebildkamera einen Schwelbrand im Silo fest. Als Erstmaßnahme wurde der Bereich um den Silo abgesperrt, der Betrieb geräumt und eine Entlüftung mittels E-Lüfter und Absauggeräten sichergestellt. Der Silo blieb verschlossen, da eine Durchzündung unbedingt vermieden werden musste.

Der Einsatzleitung war klar, dass der Silo ausgeräumt werden muss, und es dabei zu keiner Durchzündung kommen darf. Wie dies nun bewerkstelligen? Löschen? Mit Wasser? Geht nicht, die Sägespäne würden rasch aufquellen, einen Propfen bilden und eventuell dadurch sogar den Silo durch den seitlichen statischen Druck zerstören. Schaum? Keine Durchdringungsfähigkeit, geht auch nicht. Lightwater? Zwar gute Durchdringungsfähigkeit, aber sonst wie bei Wasser, die Sägespäne würden aufquellen. Bleibt Inertgas, also vorzugsweise Stickstoff.

GAMS-Regel:: Die Einsatzleitung forderte daher über die BAZ bei der Fa. Messer Fachkräfte, Stickstofflanzen und rund 20 Tonnen Stickstoff an. Die Formalitäten (Vertrag wird geschickt, Betriebsinhaber muss diesen unterzeichnen, die Übernahme der Kosten für den Stickstoffeinsatz musste von der Versicherung der Tischlerei freigegeben werden) dauerten auch rund 2 Stunden. Parallel dazu wurde ein Spezialgerät gesucht, welches in der Lage war, die Sägespäne abzusaugen. Viele Firmen waren dazu nicht bereit, da die Gefahr von glühenden Teilen wie auch der tiefkalte Stickstoff die Saugwägen beschädigen könnte. Die Fa. Schauer aus St. Pölten konnte einen sog. „Supersauger“ zur Verfügung stellen, welcher in der Lage war, einen Wassernebel einzubringen. Glühende Partikel wären also kein Problem, der tiefkalte Stickstoff müsste aber auch dort vermieden werden.

Nachdem der Saugwagen erst am nächsten Tag in Krems eintreffen konnte, wurde der Silo mit 15 Tonnen flüssigem Stickstoff von oben inertisiert. Der flüssige Stickstoff hat eine gute Durchdringungsfähigkeit, aufgrund der tiefen Temperatur ist auch der schnell verdampfende Stickstoff schwerer und bildet so eine Gaswolke, die den Sauerstoff in diesem Bereich verdrängt. Damit konnte der Schwelbrand nachweislich anhand der laufend durchgeführten CO-Messungen eingedämmt werden. Dazu wurde im oberen Bereich des Silos eine Öffnung geschaffen, wo eine Lanze eingebracht werden konnte. Während der ganzen Nacht wurden der Silo und das Betriebsareal laufend überwacht und Messungen durchgeführt.

In den Morgenstunden des 30. Oktober kam es in der Dachkonstruktion des Silos zu einer Durchzündung. Der Brand ergriff die Dachstuhlkonstruktion und die Außenverkleidung, auch die obere Schicht des Schüttgutes brannte. Durch einen mit Sägespäne gefüllten Spalt konnte der Schwelbrand wie durch eine Zündlunte am inertisierten Siloinhalt vorbeibrennen. Es gab zwei deutlich hörbare Verpuffungen. Der Dachstuhlbrand wurde von den Einsatzkräften mit C-Stahlrohren örtlich bekämpft. Teilweise wurde Schaummittel beigemengt. Es wurde weiterhin peinlich darauf geachtet, nur geringe Wassermengen in den Silo einzubringen.

Supersauger:: Nachdem der Saugwagen eingetroffen war, wurde das Schüttgut durch die obere Öffnung des Silos abgesaugt. Dadurch wurde vermieden, einen „Kamineffekt“ im Silo zu erzeugen. Der Silo war im unteren Bereich noch vollständig mit Stickstoff geflutet. Das Saugrohr des Saugwagens wurde von einem Atemschutzträger geführt, welcher über Kran Krems gesichert im Silo vorging. Zwei unabhängig versorgte C-Strahlrohre sowie ein Atemschutztrupp an der Silospitze sorgten für die Sicherheit des Mannes. Aufgrund der schweren körperlichen Tätigkeit war die Einsatzdauer bei maximal 20 Minuten pro Trupp begrenzt. Am Silofuß wurde ebenfalls unter Verwendung von Atemschutzgeräten der dem Silo vorgelagerte Lagerraum vollständig ausgeräumt.

Der Saugwagen wurde im angrenzenden Areal der Fa. Lasselsberger geleert, die Sägespäne mit Wasser restlos abgelöscht und mit einem Schaufellader in Container gefüllt. Das Material wurde mit einem Wechselladefahrzeug zu einem Entsorgungsbetrieb verbracht.

Im unteren Bereich des Silos wurden dabei zwei Hitzestellen entdeckt: Die Wand hatte im Durchschnitt -16° C, nur an zwei Stellen ging die Temperatur auf +10° C hinauf. Hier war neuerlich ein Schwelbrand im Entstehen. Dieser wurde durch gezieltes Einbringen von gasförmigem Stickstoff bekämpft. Dazu wurde an der entsprechenden Stelle eine Bohrung angebracht und der Stickstoff hineingepumpt. Gasförmiger Stickstoff hat Umgebungstemperatur und beschädigt daher nicht den „Staubsauger“.

Es wurde laufend Stickstoff nachgepumpt, insgesamt wurde rund 1000kg Stickstoff in Gasform eingebracht und das Ausräumen des Silos konnte in knapp 8 Stunden abgeschlossen werden. Dabei waren 28 Atemschutztrupps im Einsatz. Teilweise kam es zu statischen Aufladungen während des Saugvorganges, hier wurde mit einem weiteren C-Strahlrohr im Siloinneren gegengewirkt.

Am nächsten Morgen wurde bei einer Nachbeschau im nunmehr leeren Silo neuerlich eine Rauchentwicklung entdeckt. Dabei wurde festgestellt, dass sich im Silo ein Kamin befindet, welcher mit Ytong-Blöcken verkleidet war. Zwischen dem Kamin und der Verkleidung war ein Spalt, welcher sich in den letzten 40 Jahren nach und nach mit Holzstaub gefüllt hat. Diese leicht brennbare Füllung sorgte durch die gut isolierenden Eigenschaften des Gasbetons für eine immer wiederkehrende Zündquelle. Der Einsatzleiter hatte nun genug: Gemeinsam mit einer Baufirma wurde im Siloinneren ein Gerüst errichtet und die gesamte Verkleidung des Kamins entfernt. Dabei entstehende Durchzündungen des Staubs wurden mit einem C-Rohr rasch bekämpft. Nun war der Silo völlig leer. Brand Aus.

Messgeräte sind unverzichtbar:: Eine besondere Erkenntnis war die laufende Verwendung von Messgeräten. Sowohl mit dem XM 7000 als auch mit der Wärmebildkamera wurden ständig Messwerte erfasst. Einerseits wurde mit der CO-Messung der Schwelbrand und seine Intensität nachgewiesen, anderseits mit der Sauerstoff-Messung die Verteilung des Stickstoffes kontrolliert.
Der CO-Wert war der Indikator für die Intensität des Schwelbrandes. Im Hallenbereich wurde mittels zweier Elektrolüfter rund um die Uhr be- und entlüftet. Die 30 ppm-Grenze wurde zur „Atemschutzgrenze“ erklärt, ab dieser Konzentration war umluftunabhängier Atemschutz verpflichtend. Im Kellergeschoß ohnehin, da hier während der Inertisierung der Sauerstoffgehalt sehr niedrig war. Die Stickstoffkonzentration wurde immer im Umweg über den Luftsauerstoff gemessen, bei der Inertisierung fiel selbst im Hallenbereich der Luftsauerstoff auf unter 17 %– der Silo war offensichtlich nicht gasdicht.

Mit den Wärmebildkameras wurden laufend die Silowände gemessen und warme Stellen gesucht. Mit „Handauflegen“ wäre dies nicht einfach möglich gewesen, da durch den Stickstoffeinsatz die Wände auf bis zu -40° C gekühlt wurden.

Logistik an der Einsatzstelle:: Eine weitere Herausforderung war die Koordination der gesamten Anforderungen von der Einsatzstelle: Firmenbesitzer und die Versicherung, Gaslieferant, Saugfahrzeuglieferanten, Baufirma, Radlader, Transportunternehmen, Container, Atemschutzsammelplatz, Aufstellflächen, Mannschaftsablöse und Versorgung mussten koordiniert werden. Auch Probleme wie Fahrzeitüberschreitungen bei den angeforderten Spezial-LKWs, Sondergeräte („wir brauchen sofort eine 40mm-Bohrkrone“) bis hin zu rutschenden Schlauchbrücken und defekten Gerätschaften wurden abgehandelt und dokumentiert. Klarerweise galt es auch Kontakt zu anderen Einsatzorganisationen zu halten, Ersatzmaßnahmen zu schaffen (wenn die Rettung kurzfristig von der Einsatzstelle abrücken muss) und natürlich auch die interne Ablöse zu managen. Einsatzkräfte wie Einsatzleitung wechselten im Laufe der drei Tage, die Informationen mussten weitergegeben werden.

An der Einsatzstelle waren im Schnitt rund 40 Einsatzkräfte gleichzeitig anwesend, in Summe waren aber 150 Feuerwehrmitglieder fast 1300 Einsatzunden tätig.

Die Öffentlichkeitsarbeit lag in den Händen von Stefan Gloimüller vom BFK Krems, der hier die Medienvertreter mit Informationen versorgte und die Einsatzleitung dahingehend entlastete. Auch unser „Einsatzfotograf“ Hr. Wimmer stand unermüdlich mit seiner Kamera vor Ort – herzlichen Dank!
Einsatztaktik:: Die grundlegende Taktik soll in diesem Artikel nur gestreift werden. Auf der einen Seite gibt es ein Modul der Landesfeuerwehrschule, auf der anderen Seite Unterlagen der verschiedenen Unfallverhütungsanstalten zu diesem Thema.

Grundsätzlich ist der Silo verschlossen zu halten, um Aufwirbelungen, Sauerstoffzufuhr und Entzündungen zu vermeiden. Dann sollte eine Intertisierung mit flüssigen Stickstoff erfolgen (weil weniger Verwirbelung, Abkühlung, gute Durchdringungsfähigkeit). Anschliessend ist der Silo unter Inertgasatmosphäre halten, d.h. ständig mit gasförmigen Stickstoff nachfüllen. Abschliessend ist der Silo auszuräumen: ABER nur an einer Seite (oben oder unten) öffnen, da sonst mit einer Kaminwirkung zu rechenn ist. Vorsicht auf elektrostatische Entladungen.

Wichtiger Hinweis: Neue Siloanlagen sind bereits mit fix montierten Lanzen und einer C-Kupplung zum Einbringen von Stickstoff ausgerüstet. Wenn dies nicht vorhanden ist, muss dies dem Gaslieferanten unbedingt mitgeteilt werden, damit die Gaslanzen etc. mit vor Ort gebracht werden, da diese klarerweise keine Standardausrüstung sind.

Sicherheit an der Einsatzstelle:: Aufgrund des hohen Gefahrpotentials wurde Sicherheit groß geschrieben. Die Atemschutzgeräteträger wurden nur mit vollständiger 40kW-Ausrüstung (Jacke, Hose, Handschuhe, Flammschutzhaube) in den Einsatz gelassen. Bei den Kräften der Feuerwehr Krems ist diese Schutzausrüstung bei allen Feuerwehrmitgliedern gegeben.

Eine Gefahrenunterweisung der Atemschutzträger vor dem Einsatz erfolgte stets, die Trupps wurden nicht nur über ihre Aufgabe, sondern auch über zu erwartende Gefahren informiert. In unklaren Situationen zogen sich die Trupps stets zurück und berieten sich mit der Einsatzleitung.

Da am Silo oben keine sichere Standfläche gegeben war, wurden die Atemschutzträger, die im Siloinneren arbeiteten mit 5-Punkt-Gurt und Bandschlinge auf Kran Krems gesichert. Der Kranführer hatte keine Sichtverbindung und wurde daher ununterbrochen über Funk eingewiesen. Kran Krems war auf volle Länge von 40m ausgefahren.

Nach Einsatzende stand fest: Die Tischlerei ist in vollem Umfang gerettet worden. Die Sägespäne sind klarerweise ein Totalverlust und das Silodach ist stark beschädigt, aber die in den Hallen gelagerten Materialien und Geräte und die Hallen selbst blieben allesamt unversehrt.

Ein Feuerwehrmitglied zog sich beim Einsatz am Silo bei einem Sturz Verletzungen zu. Bei der Kontrolle im LKH Krems wurde aber nur eine schmerzhafte Prellung an der Hand diagnostiziert.


Unterlagen:
Diagramme
Einsatzskizze
Lehrbehelf NÖ Landesfeuerwehrschule
Merkblatt der VdS zur Unfallverhütung

Medienberichte:
Erster Einsatzbericht
Bericht in noe.ORF.at
Bericht im Kurier


Eingesetzte Kräfte:
Freiwillige Feuerwehr Krems mit allen 8 Feuerwachen (ca. 150 Mitglieder, 20 Fahrzeuge): Angern, Egelsee, Gneixendorf, Hauptwache, Hollenburg, Rehberg, Stein, Thallern
Betriebsfeuerwehr Voest Alpine Krems (12 Mitglieder, 2 Fahrzeuge)
Betriebsfeuerwehr Dynea Austria GmbH Krems (7 Mitglieder, 1 Fahrzeug)
Betriebsfeuerwehr Brantner GmbH Krems (5 Mitglieder, 1 Fahrzeug)
Betriebsfeuerwehr Eybl Krems (5 Mitglieder, 1 Fahrzeug)
Polizei Krems (mehrere Polizeibeamte, mehrere Fahrzeuge)
Brandursachenermittlung
Rotes Kreuz Krems (3 Sanitäter, 1 RTW)
Fa. Messer Austria GmbH (2 Mitarbeiter, 2 Fahrzeuge)
Fa. Schauer Umwelttechnik GmbH (2 Mitarbeiter, 1 Fahrzeug)
Fa. Schubrig